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Doktor Schiwago war einst der Renner

Artikel vom 24.03.2014 | Zur Quelle

Filmvorführer Günther Schmitz verfolgt seit 1950 das Geschehen im Kerpener Traditionskino Capitol.Dass er in die bunte Kinowelt geriet, hatte er einer anderen, nicht minder bunten Welt zu verdanken. Von Anja Musick Kinder stellen sich oft vor, wie großartig es wäre, in einem Kino zu arbeiten. Alle Filme könnte man sich angucken, ohne dafür bezahlen zu müssen. Auch Popcorn und Cola gäbe es umsonst und ohne Ende. Günther Schmitz lebt diese Kinderträume. Er ist die gute Seele des Kerpener Capitol-Theaters und betrachtet sich schmunzelnd als „Mädchen für alles“. Er öffnet die Türe am Nachmittag und schließt sie am späten Abend. Er hilft überall. Für ihn sind die über die Leinwand flimmernden Traumwelten und das ganze Drumherum Alltag. Und an Popcorn hat er sich schon lange satt gegessen. Seit den 1950er Jahren verfolgt der heute 71-Jährige das Geschehen im Kerpener Traditionskino. Er hat viele Jahrzehnte Kerpener Kinogeschichte miterlebt. Das Lichtspieltheater wurde 1950 von Hubertine und Peter Dick gebaut. Im Capitol-Kino fanden 550 Menschen Platz. Dass er in die bunte Kinowelt geriet, hatte er einer anderen, nicht minder bunten und lauten Welt zu verdanken. Während der Kirmes in Mödrath lernte Schmitz nämlich seine erste Frau Elisabeth kennen, die Tochter von Hubertine und Peter Dick. Auf der Raupe war es. Im Rausch der Geschwindigkeit entdeckten die jungen Leute ihre Liebe. 1959 läuteten die Hochzeitsglocken. Dass er das Kino direkt mit heiraten sollte, sei für ihn kein Problem gewesen, erinnert sich Schmitz, der als kaufmännischer Angestellter arbeitete und nebenbei die Familie im Kino unterstützte. Die untrennbar mit der Familiengeschichte verbundene Tradition des Kinos lässt Schmitz gerne Revue passieren. Im November 1950 sei das Capitol mit dem Film „Das vierte Gebot“ mit Attila Hörbiger in der Hauptrolle eröffnet worden. Die Rede des ehemaligen Bürgermeisters Adam August Schaeven sei damals sogar aufgenommen worden. Eine entsprechende Schellack-Schallplatte existiere noch im Stadtarchiv. Die Kerpener flohen in der schweren Nachkriegszeit dankbar in das Halbdunkel des Kinosaals und nahmen regen Anteil an der heilen Welt der Heimatfilme und den gewaltigen Erzählungen der Monumentalfilme. Auch die Karnevalsgesellschaften nutzten das Kino. Sitzungen und andere bunte Veranstaltungen fanden dort statt. Die KG „Gemütlichkeit“ lud etwa 1958 zur Jubelsitzung ins Capitol ein. Das Geschäft brummte. Der Schwiegervater sei damals der erste Autobesitzer in Kerpen gewesen, erinnert sich Schmitz. Sein schwarzer Opel Kapitän habe viele Blicke auf sich gezogen. 

Ein zweites Kino an der Stiftsstraße wurde gekauft. Das wurde aber in den 1980er Jahren wieder verkauft. An große Filme erinnert sich Schmitz. Besonders beliebt seien „Die zehn Gebote“ und „Doktor Schiwago“ gewesen. Damals habe man noch als Filmvorführer ständig die Film-Rollen wechseln müssen. Bevor diese in Betrieb genommen werden konnten, mussten die Filmstreifen noch aneinandergeklebt und im Klebebereich neu perforiert werden. 
1954 sei der Magnetton eingeführt worden. Viele Lautsprecher hätten dafür gesorgt, dass der Ton von allen Seiten gekommen wäre. Das habe das Kinoerlebnis noch fantastischer gemacht. Als in den 1960er Jahren die Fernseher in fast alle Haushalte kamen, brach das Kinogewerbe etwas ein. „Aber nie so, dass unsere Lage bedrohlich gewesen wäre“, berichtet Schmitz. Die Leute kamen nach wie vor, schauten sich in den 1970er Jahren die „Herbie-Filme“ an. Ein VW-Käfer mit entsprechendem Aufdruck habe in dieser Zeit vor dem Kino gestanden.

Eine Zeit lang seien auch für die immer größer werdende Gemeinde türkischer Gastarbeiter in Kerpen türkische Filme gezeigt worden. Bis zu 500 türkische Männer seien da zuweilen gekommen. Doch nach zwei Jahren sei diese Zeit zu Ende gewesen. 1979 wurden dann die kleinen Lämpchen an die Sitzplätze montiert, die das Capitol-Theater auch heute noch so besonders erscheinen lassen. 1980 wurde die Theke eingebaut und das kleine Kino 2 abgetrennt, 1991 kam dann das Bistro. Vor zwei Jahren sei auf den digitalen Filmbetrieb umgestellt worden, erzählt Schmitz. Nun sei alles einfacher zu handhaben. Die Filme würden nach der Laufzeit einfach vom Server gelöscht. Nur den ersten digitalen Film, „Ziemlich beste Freunde“, hätte sein Sohn Bernd Schmitz, der das Kino seit neun Jahren betreibt, aus nostalgischen Gründen behalten. Bevor der Sohn das Kino übernommen hatte, war es einige Jahre verpachtet gewesen. Einen alten Vorführprojektor hätten sie aber behalten, um demonstrieren zu können, wie früher Filme gezeigt wurden. Das Capitol ist heute eine der schönsten Veranstaltungsstätten der Stadt Kerpen. Bernd Schmitz hat ein Kleinkunstprogramm etabliert. Außerdem finden Kindertheater-Aufführungen und die Schulfilmwochen im Capitol statt. Bis zu 1600 Kerpener Schüler finden dann den Weg in das Lichtspielhaus. Und die vierte Generation steht auch schon in den Startlöchern. Die beiden fünf- und dreijährigen Enkel werden sicher irgendwann einmal übernehmen, freut sich Schmitz und winkt zum Abschied: „Bis demnächst in diesem Theater!“